"Inklusion im Alltag – das ist oft ein Kampf"
Angelina Richter ist Mutter von zwei Söhnen: Jonas und Simon. Simon ist fast 5 Jahre alt. Er hat einen seltenen Gendefekt, ist blind, schwerhörig und in seiner Entwicklung verzögert. Die Familie ist seit einigen Jahren Mitglied im Verein. Simon besucht einen Schulkindergarten und wird dort über „Inclusio“ individuell begleitet. Frau Richter erzählt hier von ihrem Alltag, den Schwierigkeiten mit Inklusion und ihren Wünschen für die Zukunft.
Frage: Frau Richter, wie sieht Ihr Alltag mit Simon und Jonas aus?
Antwort: Mein Alltag bedeutet viel Organisation. Unsere ganze Familie braucht dafür viel Flexibilität.
Simon besucht den Schulkindergarten in Offenburg. Im normalen Kindergarten würde er untergehen, weil er viel Unterstützung braucht. Seit einem Jahr hat er dort eine Begleitung nur für ihn. Das ist eine große Hilfe. Man merkt, dass Simon viel besser lernt, wenn jemand ganz auf ihn eingeht.
Das Kindergarten-Team kann das nicht leisten, weil sie viele Kinder haben. Trotzdem muss ich für jede Stunde Hilfe kämpfen: Formulare ausfüllen, telefonieren, immer wieder erklären, was Simon nicht kann. Das ist sehr anstrengend.
Frage: Wo klappt Inklusion gut, und wo gibt es noch Hindernisse?
Antwort: Inklusion klappt, wenn Kinder mit und ohne Behinderung zusammen sind, spielen und voneinander lernen. Auf dem Sportplatz sehe ich das oft. Kinder sind neugierig und fragen unbefangen. Erwachsene sind oft unsicher oder haben Berührungsängste.
Manche Kinder mit Behinderung werden ausgeschlossen. Oft, weil andere Angst oder falsche Vorstellungen haben. Viele Kindergärten trauen sich nicht, Kinder wie Simon aufzunehmen. Dabei wäre es mit etwas Unterstützung oft möglich.
Frage: Was wünschen Sie sich für Ihre Familie und andere Familien?
Antwort: Ich wünsche mir mehr Hilfe im Alltag. Zum Beispiel: jemanden, der kurzfristig einspringt, wenn ich mit Simon ins Krankenhaus muss. Dann wäre Jonas gut betreut.
Für Jonas wünsche ich mir Gruppen für Geschwisterkinder. Er fühlt sich manchmal allein mit seiner Situation. Es würde ihm helfen, andere Kinder kennenzulernen, die das Gleiche erleben.
Außerdem wünsche ich mir, dass Inklusion wirklich gelebt wird – in Kindergärten, in Schulen, in Vereinen und bei der Freizeit. Dafür braucht es mehr Mut und Offenheit.
Frage: Wie nehmen Sie die Gesellschaft beim Thema Behinderung wahr?
Antwort: Ich habe oft das Gefühl, dass Menschen Behinderungen kaum wahrnehmen oder nicht wissen, wie sie reagieren sollen. Kinder fragen einfach direkt, warum Simon nicht läuft oder anders schaut – und sie akzeptieren die Antwort. Erwachsene schauen oft weg oder wirken unsicher.
Ich wünsche mir mehr Offenheit, mehr Fragen und weniger Angst. Es tut weh, wenn Jonas wegen seines Bruders geärgert wird. Ich sage ihm: Jeder Mensch kann einmal auf Hilfe angewiesen sein.
Frage: Was könnte der Verein noch tun?
Antwort: Der Verein macht schon sehr viel. Aber es wäre schön, wenn es spezielle Angebote für Geschwisterkinder gäbe. Auch kleine Hilfspakete für Notfälle wären hilfreich – zum Beispiel, wenn kurzfristig jemand kommt und einspringt.
Wir hatten gute Erfahrungen mit Au-pairs, die sich speziell auf Familien mit einem Kind mit Behinderung vorbereiten. So etwas würde auch anderen Familien helfen.
Frage: Was ist Ihr Fazit zum Thema Inklusion?
Antwort: Inklusion beginnt im Alltag. Wichtig sind Begegnungen von Kindern mit und ohne Behinderung.
Die größten Hindernisse sind nicht Treppen oder Bordsteine. Die größten Hindernisse sind die Vorurteile in den Köpfen.
Wenn wir diese abbauen, haben alle etwas davon.